Investieren in die Pflege lohnt sich!

Die wirtschaftliche Bedeutung von Care steht im Zentrum des diesjährigen Tages der Pflege. Investitionen in die Pflege lohnen sich. Die Frage ist nur, für wen – und für wen nicht.

Der International Council of Nurses ICN betont mit dem Motto «The economic power of care» die wirtschaftliche Bedeutung der Care-Arbeit. Dass die Sorge um Menschen die eigentliche Grundlage für die Wirtschaft ist, (respektiv sein sollte) bringt die Organisation «Wirtschaft ist Care» (https://wirtschaft-ist-care.org) so auf den Punkt:

Ohne Care gibt es keine Menschen. Ohne Menschen braucht es keine Wirtschaft.

Offenbar wird die Botschaft zunehmend gehört. Im März 2024 veröffentlichte das World Economic Forum (WEF) ein White Paper, in dem die Bedeutung der Care Economy betont wird. Das WEF ist bekannt für das Jahrestreffen, das jeweils im Januar in Davos stattfindet, das jedoch nur das Schaufenster der Organisation darstellt.

 

Das WEF-White-Paper «The Future of the Care Economy» streicht die Relevanz der «Care-Economy» für die wirtschaftliche Entwicklung heraus.

Unabhängig davon, was das Ziel der wirtschaftlichen Entwicklung sein soll (Profit, Wachstum, Gewinnoptimierung oder Wohlergehen von Menschen, Umwelt, Planet):

Die Gesundheitsversorgung ist eine zentrale Säule davon, das hat nicht zuletzt die Covid-Pandemie gezeigt. Kranke Menschen können nicht für sich und ihre Familien sorgen, sie können nicht arbeiten und sie verursachen Kosten: für ihre Behandlung, durch Krankheitsausfälle und weil sie andere Menschen, die für sie sorgen, davon abhalten, ihrerseits zu arbeiten.

Gesellschaften und ihre Wirtschaftssysteme haben folglich ein Interesse an einer guten Gesundheitsversorgung. Und diese Gesundheitsversorgung hängt in hohem Mass von qualifizierten Pflegenden ab.

 

Investitionen in die Pflege lohnen sich

Zahlreiche Studien beweisen, dass sich Investitionen in die Pflege wirtschaftlich auszahlen. Auch mit Daten aus der Schweiz wurden diese Zusammenhänge belegt, mit einer Analyse von Daten des Bundesamts für Statistik sowie mit der Studie Intercare. Unter dem Strich liessen sich mit mehr qualifizierten Pflegefachpersonen in Akutspitälern und in der stationären und ambulanten Langzeitpflege bis zu 2 Milliarden Franken jährlich sparen.

Der Rechnung ist einfach: Teuer am Gesundheitssystem sind nicht zuletzt stationäre Spitalaufenthalte. Im Jahr 2022 kosteten sie 19,6 Milliarden Franken, das entspricht 21,4 Prozent der Gesamtkosten von 91,3 Milliarden.
Ein Bettentag kostet fast 2500 Franken. Wenn Patient:innen dank optimaler Pflege schneller nach Hause können, oder dank gut qualifizierten Pflegefachpersonen in der Langzeitpflege gar nicht erst ins stationär ins Spital müssen, summiert sich das rasch zu grossen Beträgen.  

Diese direkten Kosten sind das eine. Die indirekten – etwa kürzere Krankheitsabsenzen dank schnellerer Genesung – sind da noch nicht eingerechnet. Die «immateriellen» Kosten, wie die Verhinderung von unnötigem Leiden, lassen sich gar nicht beziffern.
Wie hoch die Kosten sind, die dadurch entstehen, dass über 40 Prozent der Pflegenden aus Frust, Überlastung, fehlender Wertschätzung und Anerkennung – und möglicherweise auch Wut – vorzeitig aus dem Beruf austreten, müsste untersucht werden. Dass eine hohe Personalfluktuation ein Vermögen kostet, ist bekannt; es wird geschätzt, dass alle direkten und indirekten Kosten einer Fluktuation ein Jahresgehalt betragen. 

Die Plattform Personalradar.ch schreibt:

«Das Halten von fähigen, erfahrenen Mitarbeitenden, also das sogenannte ‘Retention-Management’, lohnt sich nachweislich wirtschaftlich und ist eine wichtige Führungsaufgabe par excellence. Diese kann man nicht einfach nach unten delegieren, weil man sie für profan hält. Nochmals: Personalpflege ist eine wichtige Führungsaufgabe, weil Kündigungen enorm viel Geld kosten. Immer.»

 

Die Zeichen der Zeit erkannt

Verschiedene Betriebe im Gesundheitswesen haben die Zeichen der Zeit erkannt und arbeiten daran, Pflegepersonal zu gewinnen und auch zu binden. Zu den Massnahmen gehören beispielsweise:

  • Reduktion der wöchentlichen Arbeitszeit auf 40 oder 38 Stunden
  • Möglichkeit, zusätzliche Ferien und Freitage «einzukaufen» oder zu verdienen, z.B. mit der Bereitschaft, im Dreischichtbetrieb zu arbeiten
  • Entschädigungen für kurzfristiges Einspringen
  • Flexible Arbeitszeitmodelle oder neuer Schichtmodelle z.B. für Pflegefachpersonen mit Betreuungspflichten
  • Beiträge oder Übernahme von Kita-Kosten
  • Beiträge oder Übernahme an Mobilitätskosten (ÖV-Abos, Mietvelos, Mobility Carsharing usw.)

 

Mitarbeitende finden und binden ist in den Zeiten eines mehr als ausgetrockneten Marktes – gemäss aktuellen Zahlen sind fast 15'000 Stellen im Pflegebereich nicht besetzt – absolut zentral. Um den Exodus aus der Pflege zu stoppen und die Gesundheitsversorgung auch in Zukunft sicherzustellen, hat die Schweizer Stimmbevölkerung mit der Annahme der Pflegeinitiative der Politik einen klaren Auftrag erteilt.

Ebenso klar ist jedoch, dass die Mühlen der Schweizer Politik langsam mahlen. Es wäre allerdings nicht fair, zu behaupten, dass sich nichts bewegt: Paket 1 der Umsetzung startet am 1. Juli dieses Jahres. Die Vorschläge zu Paket 2, mit dem die unter anderem Arbeitsbedingungen verbessert werden sollen, sind in Arbeit und werden gemäss Medien demnächst veröffentlicht. Am 1. Juli startet zudem das «Nationale Monitoring Pflegepersonal», das die notwendigen Planungsgrundlagen bereitstellt.

 

Allerdings braucht es noch einiges mehr, insbesondere in zahlreichen Kantonen, wo die Umsetzung der Pflegeinitiative zum Teil nicht so hohe Priorität zu geniessen scheint. Das gilt auch für die Forderungen von SBK, Gewerkschaften, Arbeitgeber-Organisationen und der Gesundheitsdirektor:innenkonferenz (GDK) nach Sofortmassnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen.

 

Der Elefant im Raum

Schon ein oberflächlicher Blick in die Medien in den letzten Tagen und Wochen zeigt jedoch, dass das Problem tiefer liegt. Zahlreiche Spitäler melden massive Verluste.

Diese Finanzmisere der Spitäler hängt mit dem Finanzierungssystem zusammen. Geld verdienen sie nur, wenn sie möglichst viele Diagnosen stellen und Behandlungen auf der Basis des Fallpauschalensystems SwissDRG durchführen können.

Neben der Forderung nach finanzieller Unterstützung durch den Staat (genauer die Kantone) und höheren Tarifen sehen die Führungsetagen der Spitäler vor allem eine Lösung: Eine höhere Belegung, mehr Betten betreiben, Operationssäle voll ausnützen.  

Mit diesen Begriffen zeigt sich exemplarisch, woran das Gesundheitswesen krankt: Der einseitigen Ausrichtung auf ökonomisches Wachstum. Dieser Prämisse wird alles untergeordnet. Gesundheitsökonom:innen sprechen von «Angebotsinduzierter Nachfrage»: Es wird eher ein Knie zu viel operiert und ein MRI zu viel gemacht, als dass gefragt wird, ob der Eingriff oder die Untersuchung dem Patienten, der Patientin etwas bringt. Hauptsache es gibt einen Code im DRG.

Daraus lässt sich auch der Frust der Pflegefachpersonen erklären: Sie klagen darüber dass sie die Zeit für administrative Aufgaben, die Hotellerie und alles mögliche aufwenden, anstatt für die Patient:innen. Gleichzeitig können sie ihre Kompetenzen nicht einbringen: «Es geht nur noch ums Geld».

 

Der Elefant im Raum ist das System «Markt», das im Gesundheitswesen Einzug gehalten hat, nicht nur im Akutbereich. Findige Unternehmen haben es gewinnbringend für sich entdeckt, sei es im Bereich der stationären Langzeitpflege, sei es in der ambulanten Pflege zu Hause, sei es der Graubereich der 24-Stunden-Betreuung. Von den Interessen der mächtigen Pharmalobby, der Medtech-Branche und den Krankenkassen, die sich gerne als «Vertretung der Prämienzahlenden» präsentieren, aber auch nicht schlecht daran verdienen, ganz zu schweigen.

Niemand verdient an einem verhinderten Dekubitus (ausser die Pflegefachpersonen ihren keineswegs fürstlichen normalen Lohn). Niemand an einem verhinderten Spitalaufenthalt einer Pflegeheimbewohnerin, niemand an einem nicht-operierten Knie.  Niemand kann daraus Profit schlagen, wenn Menschen dank einer guten, breit aufgestellten, interprofessionellen Grundversorgung und einer ausgebauten Prävention weniger häufig eine aufwendige Behandlung benötigen.

Aber sehr viele haben ein grosses Interesse daran, dass sich nichts am System ändert. Dafür zeigen sie mit dem Finger auf die Patient:innen, die zu viele Leistungen in Anspruch nehmen oder sie werfen den Pflegefachpersonen vor, dass sie «ihren Beruf schlecht reden», wenn sie auf Missstände hinweisen und davor warnen, dass Patient:innen zu Schaden kommen könnten.

 

Investieren in die Pflege lohnt sich? Ja, das tut es, und das hat die Bevölkerung auch begriffen, wie das überwältigende Ja bei der Abstimmung zur Pflegeinitiative gezeigt hat.

Es ist wichtig, das immer wieder zu betonen – und auch die Mechanismen aufzuzeigen, an denen das Gesundheitssystem aktuell krankt.

 

Quellen/Links

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